Moin.
„Ja, Sex ist geil, aber kennt ihr das Gefühl, das man hat, wenn man spürt, dass die Therapie fruchtet?“
Diesen Satz habe ich heute um 21:09 am U-Bahnhof Gleisdreieck auf einem Kurznachrichtendienst, der nicht X ist, geposted, und er kam aus tiefstem Herzen. Ich kann gar nicht so genau beschreiben, was seit dem letzten Text konkret passiert ist, dass es mir gerade so verhältnismäßig gut geht – aber wann hat mich das je aufgehalten, es nicht dennoch zu versuchen? Also; fangen wir an.
Seit meinem letzten Post im Februar sind mehr als zwei Monate vergangen. Eigentlich hatte ich mir ja vorgenommen, hier monatlich je ein Resümee zu hinterlassen – nun, der*die geneigte Lesende sieht, wie gut das funktioniert hat; gar nicht nämlich. So viel zu Vorsätzen.
Vielleicht ist das aber auch in Ordnung. Nur weil hier nichts passiert ist, bedeutet das ja nicht, dass in der analogen Welt da draußen nichts passierte. Und was genau passierte, war offenbar genug, um mich zwar phasenweise völlig aus der Bahn zu werfen, aber mittelfristig wieder mehr auf meine Spur zu bringen.
Ich schrieb von Februar bis Ende März die erste Hausarbeit seit der Abgabe meiner Bachelorarbeit, ohne dass ich um Fristverlängerung bitten musste, was hinsichtlich meiner Selbstwirksamkeit eine große Sache war. Zeitgleich fing ich an, statt der bisherigen acht 20 Stunden wöchentlich mit Lohnarbeit zu verbringen – einerseits aus finanziellen Gründen (ein riesiges ironisches Dankeschön geht an dieser Stelle raus an das BaföG-Amt), andererseits aber auch aus eigener Motivation heraus.
Ich würde lügen, wenn ich behauptete, vor diesem Schritt nicht mindestens Respekt, vielleicht sogar Angst gehabt zu haben. Ich kannte es nicht, mehr als zehn Stunden wöchentlich im Büro zu sein, und schon gar nicht kannte ich es, so wenig freie Zeit zur Verfügung zu haben. Passte das mit dem, was ich bis dato meinen Lebenstil nannte, überhaupt zusammen? Würde ich es schaffen, weiterhin so viele Dinge neben dem Studium und dem Job zu stämmen – Sport, Ehrenamt, Freud*innen?
Ich lernte sehr schnell, dass diese Frage nur mit „Nein“ zu beantworten ist. Zusätzlich lernte ich, dass man nicht zwei Wochen hintereinander auf Dienstreisen in mehreren Städten unterwegs ist, wenn es sich lohnen könnte, zwischen Dienstreise 1 und Dienstreise 2 doch noch einmal kurz zuhause vorbeizuschauen. Natürlich waren das alles mal wieder Erfahrungen der Art „Lernen durch Schmerz“, aber was soll ich sagen? So scheint es leider am effizientesten zu sein, und der Lerneffekt war groß, denn ich hatte keinen großartigen Spielraum für weitere Fehleinschätzungen meiner eigenen Kraftreserven – gleiches galt für mein sonst so sehr gehassliebtes Von-A-nach-B-Gerenne bis zur nächsten Phase der Überarbeitung.
So war der März ein Monat der Produktivität, gekrönt von der Entscheidung, meine teils etwas ungesunde Beziehung zu meinem Ehrenamt vorerst nicht zu beenden und den Vorsitz meiner Rudergemeinschaft noch ein weiteres Jahr zu übernehmen, der Abgabe genannter Hausarbeit, meinem ersten höheren Gehalt, von dem ich seit Monaten endlich mal wieder etwas auf die hohe Kante legen konnte (gutes Gefühl) und schließlich einer Woche Herzschmerz, den ich irgendwie mit zu verantworten hatte, ohne dass ich mir das eingestehen wollte – aber zum Thema Ehrlichkeit gegenüber sich selbst gleich (hoffentlich) mehr.
An dieser Stelle möchte ich kurz festhalten, dass die Angst, die ich vor den 20 Stunden Lohnarbeit pro Woche hatte, bisher unbegründet ist. Natürlich; die Belastung ist eine andere als im Semester zuvor. Aber ich werde momentan durch externe Umstände dazu gezwungen, achtsamer mit meinen wöchentlichen Kapazitäten umzugehen, und bisher funktioniert das erstaunlich gut. Hoffen wir mal, dass es so bleibt, denn eigentlich habe ich gar nicht mehr so viel Lust darauf, dauernd nur im Freizeitstress zu sein. Dass die mittelfristige Lösung dieses Problemes weniger Freizeit ist – logisch; weniger Freizeit bedeutet natürlich weniger Zeit für Stress in der Freizeit -, darauf hätte ich irgendwie auch vorher kommen können. Aber egal. Ich habe weniger Freizeitstress, weil ich weniger Freizeit habe; gleichzeitig passe ich besser auf die verbleibende Zeit auf, und ich habe mehr Routine in meinem Wochenablauf, ohne dass ich sie mir antrainieren muss. Problemlösung? Kann ich. Oder so…
Weniger Freizeitstress bedeutete auch, dass ich es etwas besser schaffte, allem, was mich beschäftigte, in der Therapie den Raum zu geben, den es verdiente – wenngleich diese Sitzungen häufig nicht ganz unanstrengend waren, aber immerhin begannen sie nicht mehr regelmäßig mit „Ich bin müde, die letzte Woche war mal wieder zu voll.“ Zusätzlich gelang es mir, mir mehr Zeit zu nehmen, Dinge in mir arbeiten zu lassen. Vielleicht nahmen sich die Dinge diese Zeit auch selbst – ich hatte es ja monatelang unterbunden (und das aus gutem Grund). Es ist ja nämlich so; wie man so ziemlich allen Texten der vergangenen Jahre entnehmen kann, bin ich sehr gut darin, mich und meine Art zu denken und zu funktionieren bis ins kleinste Detail auseinanderzupflücken. Ich analysiere so lange, bis ich der Meinung bin, all diese verqueren Mechanismen in meinem Kopf verstanden zu haben, und dann denke ich, dass das schon in Ordnung so sein wird. Dass ich es mir damit mitunter im ersten Schritt sehr einfach und gleichzeitig sehr schwer mache, schiebe ich dabei gern beiseite. Ich finde logische Erklärungen für mein Verhalten und bewerte im Zweifelsfall sehr schnell, wie ich denke, fühle (oder auch nicht), handle – und dabei spiele ich mir nicht selten vor, alles im Griff zu haben, denn ich verstehe ja, was wie und wieso passiert. Dass das aber manchmal nicht reicht, um wirklich alles im Griff zu haben, sondern dass zu diesen ganzen rationalen Gedanken auch gehört, dass man nicht immer komplexe und logische Erklärungen für alles finden kann – das blende ich dabei gern aus. Ich habe mich ja mit Thema X beschäftigt; damit ist es doch in Ordnung- oder?
Nee, manchmal ist es das nicht, und das darf sein. Aber dieses Recht habe ich mir selbst in letzter Zeit nur selten zugesprochen. Und nun kommen wir zurück zu dem Punkt, der – wie ich denke – mir momentan viel erleichert: Ehrlichkeit.
Den mehr oder minder offensichtlichen Punkt habe ich ja oben schon ausgeführt; wenn ich weniger Zeit in der Woche zur freien Verfügung habe, muss ich mir leider eingestehen, dass das metaphorische Rennen, von dem ich immer schreibe, nicht mehr der Default sein darf – es sei denn, ich will ohne Umwege ins Burnout. Und ich muss sagen, dass diese Form von Ehrlichkeit es mir auch – ganz im Gegenteil zu dem, was ich im letzten Text schrieb – erleichtert, anzunehmen, dass Hustle-Hannah vielleicht doch nicht die Hannah ist, die ich mir zurück wünsche.
Ein weiteres Anwendungsbeispiel dieser Ehrlichkeit gegenüber den eigenen Gedanken und Emotionen ist das folgende:
Es gibt Menschen, deren Verhalten auf verschiedenste Art und Weise von dem abweicht, was ich mir von ihnen wünschen würde. Und es gibt, fest in mir verankert, leider den starken Wunsch, Menschen ändern zu wollen; häufig sogar aus dem Antrieb heraus, dass ich denke, es sei besser für sie. Doch – Überraschung! – das kann ich nicht. Ich kann Menschen nicht ändern, und es immer und immer wieder versuchen zu wollen, kostet ungeheuer viel Kraft – Kraft, die ich nicht habe, um sie für andere zu verbraten; die ich für mich selbst brauche. Ein gesundes, selbsterhaltendes Ich sollte also gar nicht erst wollen, dass diese Kraft verschwendet wird, um Einfluss auf etwas nehmen zu können, auf das es gar keinen Einfluss haben kann. Alles, was ich ändern kann, ist mein Umgang mit den oben genannten Menschen. Und wenn ich feststelle, dass mich bestimmte Verhaltensweisen zu sehr belasten, ist es meine Aufgabe, ehrlich zu mir selbst zu sein und meine eigenen Konsequenzen daraus zu ziehen. Andersherum muss ich auch anerkennen, es Situationen gibt, in denen ich die Verantwortung für meine persönliche Lage nicht ausschließlich auf andere an der jeweiligen Situation beteiligten Personen abschieben kann. Und wenn es dann dazu kommt, dass ich mich aus bestimmten zwischenmenschlichen Beziehungen nicht herausziehen kann, liegt es ebenso an mir, herauszufinden, warum das so ist. Manchmal, und auch hier muss ich lernen, ehrlich zu mir zu sein, will ich an bestimmten Situationen nämlich auch selbst gar nichts ändern, und dabei schiebe ich die Verantwortung für die Gesamtsituation nur allzu gern ab.
Die Frage danach, ob ich es mir mit alledem nun vielleicht etwas zu leicht mache, gilt es in einem anderen Schritt zu beantworten, und das ist auch in Ordnung.
So. Diese augenscheinlich triviale Erkenntnis hat mir binnen zwei Wochen einiges an Selbstermächtigung verschafft. Und dieses Gefühl der Selbstermächtigung bringt ein Gefühl tatsächlicher Kontrolle mit sich, und keines, dass durch Zwänge oder ähnliche dysfunktionale Verhaltensmuster entstanden ist. Und aus dieser Sicherheit und dieser Kontrolle kann ich derzeit einiges an Energie ziehen. Ich spüre, dass dieser Zustand mir eine gewisse Grundruhe verschafft, an die ich mich tatsächlich gewöhnen könnte. Sie macht mich stressresistenter, belastungsfähiger und sorgt ganz allgemein dafür, dass ich mit mir selbst sehr viel besser zurecht komme. Natürlich, denn wenn man Sicherheit in sich selbst findet, ist das ein Attribut, das man schon mal ganz nett am eigenen Charakter finden kann.
Und nun? Was war am heutigen Tag jetzt so besonders, dass dieses ganze Gesülze jetzt so aus mir herausbricht? Ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Ich war mit einer Freundin aus der Uni frühstücken, bin mit guter Musik auf den Ohren Richtung Büro gefahren, habe gearbeitet, mich danach mit einer anderen Freundin aus der Uni getroffen, um an einer gemeinsamen Hausarbeit zu arbeiten und letztlich mit dem Rad und der U-Bahn nach Hause zu fahren – und während des letzten Schrittes beim Warten auf die U-Bahn den Gedanken zu haben, mit dem ich diesen Text hier oben begonnen habe. Alles eigentlich sehr unspektakulär, wenn ich nicht wüsste, dass der gleiche Tagesablauf mich vor einem halben Jahr vermutlich schon nach der Hälfte des Tages ziemlich kraftlos zurückgelassen hätte.
Genau deswegen ist es mir wichtig gewesen, das alles hier einmal mehr oder minder geordnet festzuhalten. Es werden auch wieder unangenehmere Phasen kommen, das weiß ich. Leider; aber es ist in Ordnung. es kommen aber auch wieder angenehmere nach unangenehmeren Phasen. Ich werde mir vermutlich immer mal wieder die 2022-Hustle-Hannah zurückwünschen, die – mit welchen Kraftreserven auch immer – unzählige Aktivitäten in einen Tag quetschen konnte. Aber jetzt gerade, an diesem einen sehr unscheinbaren Dienstagabend im April, stehe ich im Schlafanzug auf meinem Balkon, kann mich darüber freuen, dass ich heute jede Aktivität des Tages bewältigen und sogar genießen konnte, blicke nach oben in den Himmel und sehe im lichtverschmutzten Himmel über Berlin die Sterne.
Bis bald.
Hannah
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