Moin,
ich sitze in einem Starbucks – ja, das war eine bewusste Entscheidung – im Flughafen in Lissabon und habe Dinge zu berichten; Dinge aus vier Wochen Portugalaufenthalt. Und wo könnte man das besser tun als in Mitten von Mengen – nein, Massen – anderer Reisender drei Stunden vor Abflug meines Flugzeuges nach Berlin? Mir fallen zwar viele Orte ein, die sich da anböten, aber so habe ich eine Beschäftigung, bis ich meinen hart erkämpften Sessel hier wieder freigeben muss. Also. Legen wir los.
Alles begann damit, dass mich Clara (eine meiner engsten Freundinnen; und nach vier Wochen Urlaub mit ihr würde ich mich eventuell sogar trauen, sie als beste Freundin zu bezeichnen, aber ich bin prinzipiell gegen die Hierarchisierung zwischenmenschlicher Beziehungen, also lasse ich das sein) im Februar fragte, ob ich nicht Lust hätte, nach Ende der Vorlesungszeit mit ihr nach Portugal zu reisen. Sie und ihre Familie haben in einem Dorf im Alentejo ein Haus mit genügend Platz; und mit ein paar kleineren und größeren Baustellen. Der Deal: Urlaub auf dem Dorf – mit Beteiligung am Baugeschehen im Haus. An der Stelle möchte ich nicht ganz unbetont lassen, dass die Idee von Claras Mutter ausging, die ihre Tochter fragte, ob sie jemanden im Umfeld habe, der oder die sich den ein oder anderen Arbeitseinsatz am Haus vorstellen könnte. Daraufhin hieß es, ich sei nahezu die einzige Person, die sie da ansteuern würde. Hehe. Baustellenaffinität von dieser Familie zugeschrieben zu bekommen; das ist ein wertvolles Gut.
Nun, weiter im Text.
Ich erhielt also diese etwas unkonvemtionelle Einladung nach Santa Clara-a-Velha, überlegte ein wenig und sagte schließlich zu. Zwar hatte ich mir ja vorgenommen, allein Urlaub zu machen, aber ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie das Unterfangen schiefgehen sollte – jedenfalls nicht auf rationaler Ebene. Auf emotionaler Ebene hatte ich etliche Sorgen. Angst vor Heimweh, vor dem Vermissen meiner sonst stabilisierenden Lebensumstände und -inhalte in Berlin, vor Streit, vor zu viel Erwartung an mich und das, was ich leisten kann und muss, vor zu viel Fremdem, zu wenig Routine.
Aber ich sagte zu. Flüge wurden gebucht, hin gemeinsam mit meiner Freundin am 5. August, zurück allein, heute, am 2. September; vier Wochen (die Länge der Reise war übrigens ein weiterer Faktor, der mir Sorgen machte; einwöchige Städtetrips in Deutschland und drum herum sind ja inzwischen fast zur Routine geworden – Job mit Dienstreisen zu Konferenzen sei dank). Das geschah alles im Frühjahr.
Dann kam das Semester, Gedanken rund um die Reise herum blieben im Hintergrund, und dann war das Semester plötzlich wieder vorbei. Man könnte nun meinen, ich übertreibe, und vielleicht tue ich das auch, aber genau so hat es sich angefühlt. Zack, vorbei. Das kann daran liegen, dass ich gelegentlich wieder in alte Verhaltensmuster a la „Von A über X, Y und Z nach B rennen“ abgerutscht bin – wirklich überraschend ist das auch nicht.. -, aber das ist auch in Ordnung. Was sich hinter den A’s, B’s etc. versteckt, gehört nur bedingt in diesen Blogpost, aber ich sammele jetzt schon für weitere Texte. Herbst ist Schreibzeit.
Ich hatte während der Vorlesungszeit nur zwei Kurse in der Woche, die regelmäßig stattfanden, und ein Blockseminar. dafür aber die seit März ja selbst gewählten 20h Arbeit – und den starken Wunsch danach, möglichst viel Zeit draußen und am Wasser und möglichst wenig Zeit am Schreibtisch zu verbringen. Wie genau das mit dem Ziel „Master bis April 2026 beenden“ zusammenpasste, das ich mir ab Mai gesetzt hatte, weiß ich inzwischen auch nicht mehr, aber so ganz aufgegeben habe ich noch nicht. Wir werden sehen (notes to self: Möchtegern-melanchonischen Text über Zukunftsvisionen schreiben?).
Was soll ich sagen; ich war viel draußen, relativ viel auf dem Rad, nicht ganz so viel im Boot (note to self: Rudern streichen war noch nie, wirklich nie, eine gute Idee), schwebte irgendwo zwischen erschreckend viel Produktivität und Motivation und teils tagelangem Sich irgendwo am Wasser verkriechen wollen und sehnte mich nach einem hoffnungslos schönen Sommer.
Der kalendarische Sommer kam, der meteorologische Sommer ließ auf sich warten; und so hatte ich von einem „klassischen Sommer in Berlin“ zwar nicht wirklich viel, dafür aber 17°C und Regen. Ich lernte, Sommerregen noch einmal mehr zu mögen – alles eine Frage der Einstellung; denn wenn es regnet, hat man die Havel fast für sich allein.1
Allerdings machte sich die fehlende Sonne doch irgendwann bemerkbar – unter anderem, als ich bemerkte, dass sämtliche Ruderwanderfahrten diesen Jahres verregnet gewesen waren -, und ich konnte nicht mehr leugnen, die Sonne zu vermissen. Das machte zu diesem Zeitpunkt aber nichts mehr, ganz im Gegenteil, denn Clara und ich saßen an unseren Schreibtischen, hatten zu den letzten Prä-Urlaubs-Zutuns wenigstens nicht allzu viele sommerlich verlockende Alternativen, und rödelten bis Anfang August vor uns hin. Die „Ich will Urlaub“-Nachrichten, die wir uns gegenseitig schickten, wurden immer häufiger, und schließlich war der Montagabend des 4. August gekommen, ich packte, und am nächsten Tag flogen wir gemeinsam von Berlin nach Lissabon.
Im Nachhinein auch etwas absurd – ich habe keine Ahnung mehr, was in den zwei Wochen vor Abflug passierte. Irgendwie entstand Material für eine Hausarbeit, aber war ich das? Ich weiß es nicht mehr.
Und plötzlich saßen wir am Gate am BER, vor uns eine riesige Fensterfront mit Aussicht auf den sogenannten Berliner Sommer (17°C und Regen) und im Kopf die Aussicht auf Wärme und Sonne im Gesicht. Unsere Tickets waren spontan zu Tickets für die Business class geupgraded (upgegraded?) worden, unser Handgepäck blieb bei uns, und so kann ich behaupten, dass die Reise nach Lissabon ziemlich reibungslos verlief – quasi verflog. Hehe.
Vier Stunden später standen wir vor dem Flughafen in Lissabon. Der kurze Zwischenstopp an der Toilette um das Berliner-Sommer-Outfit wenigstens teils auszutauschen, erwies sich als sehr sinnvoll, denn wir hatten nicht nur die Zeitzone verlassen, sondern auch die Klimazone. Aus 17°C wurden 34°C, und mein Körper war etwas überfordert mit der Situation. Aber Wärme tat gut, und wir machten den ersten Spaziergang; die Avenida de Berlim (Straße von Berlin; was für eine Ironie) hinunter zum Bahnhof Oriente.
Am Bahnhof angekommen, steuerten wir den erstbesten Kiosk an, füllten unseren Flüssigkeitshaushalt auf – ein Aspekt, den ich in den kommenden Tagen leider häufig genug vernachlässigen sollte – und begaben uns im Anschluss gemächlich zum Gleis. Der Zug kam, wurde gereinigt, wir suchten unsere Plätze und rollten aus Lissabon raus, über mein erstes Highlight der Reise. Wenn man die Stadt Richtung Süden verlässt, fährt man mit dem Zug über den Tejo, und die Aussicht ist einfach grandios.
Ich bin ein einfacher Mensch; Wasser (besser: Gewässer) machen mich relativ autonatisch glücklich, und so saß ich im Zug, gab durch Hitze, Müdigkeit und ein Bier, was durch Hitze sehr schnell in meinem Hirn ankam, kluge Dinge wie „Beides bin ich Wasser“ (sollte heißen: „Mit beidem [Binnengewässer und Meer] bin ich zufrieden“) von mir und merkte, dass mein Reisestresslevel sich langsam senkte. An de Stelle könnten sich Menschen natürlich fragen, wieso ich Stress verspürte – die Reiseleitung übernahm Clara, und zwar zu 100% -, aber ich bin lange Reisen einfach nicht gewöhnt; schon gar nicht an unbekannte Orte. Umso erleicherter war ich, einfach im Zug sitzen und aus dem Fenster gucken zu können, während Clara mir dieses und jenes zu den Orten erzählte, durch die wir fuhren.
Als wir am Zielbahnhof ankamen, war es schon dunkel, aber das machte nichts. Wir wurden vom Taxifahrer des Dorfes abgeholt und zum Haus gefahren, ich bekam eine kleine Führung durch das Gebäude, in dem ich die folgenden vier Wochen leben würde, wir hatten ein gutes Abendessen im Haushof und fielen alsbald ins Bett.
[An dieser Stelle bin ich unsicher, wie detailliert ich die vier Wochen tatsächlich beschreiben soll – vermutlich wird es ein nicht allzu stringent erzähltes Chaos – Anmerkung der Autorin}
Es folgten drei Tage sturmfrei für Clara und mich – ihre Eltern reisten währenddessen mit dem Wohnmobil von Berlin nach Santa Clara -, in denen wir sehr proaktiv nichts taten. Wohlverdientes Nichts, denn wir hatten uns durch Fleiß im Juli Frei im August wirklich gut erarbeitet. Und so folgte auf den Anreisetag ein Tag mit langem Schlafen, ausgedehntem Kaffee trinken, Frühstück, Picknick vorbereiten und an den Strand fahren, um dort zu lesen und in der Sonne herumzuliegen.
An dieser Stelle muss ich sagen, dass diese Art von Urlaub mir nahezu fremd ist. Meine Sommer beinhalten sonst Feriencamps, die betreut werden wollen, Wanderfahrten, die geleitet werden wollen (die Stiefel ziehe ich mir fairerweise auch immer wieder selbst an) oder – wie im Sommer 24 – Aktivurlauben. Herumliegen, nichts tun, keine Verantwortung und keine (Tages-)Ziele zu haben, das war verdammt ungewohnt für mich, und ich brauchte zugegebenermaßen auch recht lange, um mich daran zu gewöhnen. Nicht, dass wir vier Wochen nur herumlagen – ganz im Gegenteil -, aber allein die Möglichkeiten, die sich auftaten, um proaktiv nichts zu tun, waren auf angenehme Art und Weise vielfältig, und mein Nervensystem begrüßte, dass es aus der Prä-Urlaubs-Produktivität herausgeholt wurde.
Nachdem wir also den Tag am Strand lesend, im Atlantik badend (sofern man nicht umgeworfen wurde) und Menschen beobachtend verbracht hatten, verließen wir unseren Platz irgendwann und zogen mit kurzer Verpflegungseinkaufspause um: Der zum Camper ausgebaute Caddy wurde – mit der Heckklappe nach Westen, also Richtung Meer ausgerichtet – an einem Parkplatz oben auf der Steilküste geparkt, wir hockten uns in den Kofferraum, genossen gutes Essen und die Aussicht und ich realisierte das erste Mal, dass ich jetzt vier Wochen außerhalb meiner gewohnten, teils anstrengenden, teils stabilisierenden Umgebung in Berlin verbringen würde.
Wir unternahmen noch einen Küstenspaziergang und bewanderten ein kurzes Stück des Fisherman’s trail; einem Wanderweg, der sich nahezu über die gesamte Westküste Portugals erstreckt, und während ich so barfuß über Steine, Felsen, Schotter und nicht genormte Treppenstufen lief und neben mir fast immer den Atlantik beobachten konnte, fühlte ich mich, mitsamt der Probleme, die ich in Berlin so hatte, nach und nach auf angenehme Art und Weise sehr klein an. Hausarbeitsdeadlines, Hochschulabschlüsse, Karrierewege, Ehrenämter? Weit weg, und das war auch gut so.

Die kommenden Tage verbrachten wir am Stausee, der fünf Kilometer vom Dorf entfernt die lag und sich über mehrere Kilometer mit seinen unzähligen Abzweigungen in alle Himmelsrichtungen erstreckte und am Ufer der Mira, die durch das Dorf floss (und nebenbei Namensgeberin für die Kreisstadt der Region ist – die heißt nämlich Odemira). Mal lesend, mal dösend, mal über das Leben philosophierend, aber stets angenehm unanstrengend für den Kopf. Am dritten Abend erlebte ich mein erstes Dorffest, am Samstag nach unserer Ankunft wurde im Dorf eine Dokumentation über den Cante Alentejano (den traditionellen Gesang des Alentejo, der UNESCO-Kulturerbe ist) gezeigt und wir fuhren zu einem weiteren Fest ins Nachbardorf.
Das alles war zunächst sehr fremd für mich. Nicht schlimm, aber die Menge an Worten, die ich nicht verstand und die Menge an Menschen, die ich nicht kannte, überforderte mich dann doch etwas.
Die zweite Woche vor Ort war für mich ehrlicherweise sehr anstrengend; mein Körper streikte bei Temperaturen zwischen 37 und 43 Grad serh konsequent, und mit dieser allgegenwärtigen Trägheit kam ich nicht klar. Ich war das so nicht gewöhnt; Müdigkeit wegen Stress kannte ich, Schlappheit wegen körperlicher Überlastung auch – aber diesen sehr starken Drang danach, sich wirklich gar nicht, kein klitzekleines Bisschen zu bewegen, ohne dass man etwas getan hatte… Der machte mir irgendwann Angst und ich begann, unter den Temperaturen zu leiden.
[Hier erfolgte erneut eine lange Schreibpause – ich setze diesen Text am 9. Oktober fort und beende ihn auch.]
Versteht mich an dieser Stelle bitte nicht falsch – Urlaub im Süden nach einem verregneten, grauen Sommer waren im Nachhinein betrachtet wirklich das, was mein Körper brauchte, und auch das Nichts tun hatte einen positiven Effekt, den ich glatt als erholsam bezeichnen würde, aber der starke Kontrast zu meinem Alltag hier hat mich wirklich überdurchschnittlich stark aus der Bahn geworfen.
Gleichzeitig hatte ich den Eindruck, mit meiner Wahrnehmung der Hitze inklusive der Begleiterscheinungen allein auf weiter Flur zu stehen. Das hielt mich sehr lange davon ab, irgendwie anzusprechen, wo es bei mir im Kopf gerade hakte. Ich wollte eben nicht undankbar erscheinen, und schon gar nicht wollte ich die Person sein, die sich immer nur beklagt.
Irgendwann (meine Therapeutin erinnerte mich daran) bekam ich glücklicherweise wieder Zugang zu dem Wissen, dass von allen Menschen auf der großen weiten Welt Clara wohl die Letzte sein würde, die mich dafür verurteilen würde, wenn ich meinen Wust an Ich-Problemen aussprach, und – wie konnte es anders sein – das sollte auch dieses Mal so bleiben. Ich sprach an, was mich belastete, und mir wurde pures, unverfälschtes Verständnis entgegen gebracht. Das war innerhalb unserer Freundschaft zwar nicht neu – was aber neu war, war dass dieses Verständnis mir auch innerhalb ihrer Familie gespiegelt wurde. Diese Erfahrung war und ist immernoch gleichermaßen absurd wie heilsam für mich.
Glücklicherweise sanken die Temperaturen nach den ersten zwei Wochen und meine Inaktivitätskrise stelle sich auch langsam wieder ein. Natürlich vermisste ich in regelmäßigen Abständen Rad und Ruderboot, aber damit hatte ich von Anfang an gerechnet, und ich schaffte es sogar, mir dieses Vermissen nach einem gewissen Zeitraum zu erlauben und nicht wegzurationalisieren.
Zudem fing nach der Hitze auch endlich das an, weswegen ich unter anderem ins Alentejo gekommen war; Arbeit auf der Baustelle.
Natürlich schaffte ich es, auch hier wieder Zweifel zu hegen – was, wenn ich etwas kaputt machte, Fehler begann, nicht das leisten konnte, was andere erwarteten -, aber diese Fragen konnte ich recht schnell und zufriedenstellend beantworten: a) Wenn man ein Badezimmer abreißt, ist es Teil der Arbeit, etwas kaputt zu machen; man könnte sogar sagen, die Arbeit besteht nur aus Kaputt machen. b) Fehler passieren; und beim Abriss kann man nicht allzu viel falsch machen (es sei denn, man schwingt den Vorschlaghammer auf den eigenen Daumen statt auf die einzureißende Wand). c) Nach einem weiteren Gespräch stellte sich heraus, dass – im positiven Sinne – niemand etwas von mir erwartete. Wenn ich half, waren alle froh, aber niemand würde mir einen Strick daraus drehen, wenn ich feststellen sollte, dass die Arbeit auf der Baustelle doch nicht das war, was ich mir darunter vorgestellt hatte.
Das alles mag jetzt sehr simpel klingen, aber vielleicht kann man nachvollziehen, dass das alles für mich mehr als neu war. Ich musste mir meine Daseinsberechtigung vor Ort nicht erarbeiten und mir wurde auch nicht das Gefühl dessen ermittelt, und ich konnte ansprechen, was mich belastete, ohne dass es negative Folgen hatte. Ganz ohne zu übertreiben; krasse Erfahrung.
Infolgedessen gelang es mir tatsächlich, mich einzuleben und anzukommen. Die Tage auf der Baustelle wurden zu einer richtig wohltuenden Erfahrung – auch, wenn wir regelmäßig feststellen mussten, dass der Schutt, den wir mittels Bohr- und Vorschlaghammer produzierten, sich nicht am Ende eines Arbeitstages in Luft auflöste und ich nun mit Fug und Recht behaupten kann, das Schutteimer schleppen zu den weniger spaßigen Urlaubsaktivitäten zählte. Aber ich entwickelte relativ schnell eine innige Beziehung zum Bohrhammer, und so pickelten wir Fliesen von den Wänden, entdeckten unter den Fliesen eine weitere Schicht Fliesen, entfernten auch diese, hauten Löcher in selbige, entdeckten das ein oder andere Artefakt portugisischer Baukunst23, kratzten feuchte Farbschichten von Wänden… Schön viel Abriss, schön wenig Kopfarbeit – Urlaub fürs sonst viel genutzte Gehirn. Und ins Grübeln im negativen Sinne kommt man auch nicht, wenn man Baustellenlärm im Ohr hat.


Wie das so ist bei solchen Projekten, klappte nicht alles, wie es gedacht war. Murphy’s law. Natürlich stellen Eternitplatten, die im Zweifelsfall Asbest enthalten und auf dem Dach des Abrissbades liegen, ein Problem dar. Natürlich ist Stahlbeton nicht so leicht zerstörbar wie gehofft. Aber irgendwie ging es weiter, immer wieder, und ein salopp ausgesprochenes, komplett ernst gemeintes „Wie schwer kann’s sein?“ seitens Clara bewirkte, dass ich irgendwann anfing, diese Einstellung zu übernehmen.
Aber wir ackerten nicht nur. Wir schauten uns umliegende Orte an, beobachteten Sternschnuppenschauer auf einem Berg, legten Strand- und Pausentage ein, nahmen Dorffeste mit, wenn wir konnten, und natürlich hatte ich meinen Laptop („Ich muss wirklich mit dieser Hausarbeit weiter kommen!“ – ha, ha) nahezu umsonst mitgenommen. Aber so richtig schlimm war das im Nachinein nicht.
Und irgendwann begann ich, mich richtig wohl zu fühlen. Ich lernte die Gegend zu verstehen, ich begriff die Menschen – jedenfalls im Ansatz und so, wie das innerhalb von vier Wochen nun der Fall sein kann -, kurzum: Ich entwickelte einen Bezug zum Dorf und zur Region, und diesen möchte ich jetzt auch nicht mehr missen.



Wo macht man einen Punkt, wenn man einen Reisebericht schreibt? Wie viele Details eignen sich, erwähnt zu werden? Was möchte ich teilen, was für mich behalten?
Ich glaube, ich möchte vieles für mich behalten. Aber die Grundstimmung, die mich innerhalb der letzten Tage vor meinem Abflug einholte, will ich noch versuchen einzufangen.
Vielleicht trifft es Wehmut am ehesten. Ich erkannte, dass ich angekommen war, und nun sollte ich schon wieder fliegen? Hatten sich die ersten zwei Wochen doch ewig und zäh angefühlt, verging die zweite Hälfte des Urlaubes schon fast zu schnell. Das Ufer des Flusses vor dem Haus, die Bänke daneben. Die Baustelle, Kaffee mit Clara am Morgen, die Schafe, die täglich abends durch das Dorf zogen. Der Stausee fünf Kilometer vom Dorf entfernt, der kleine Supermarkt mit den beiden Frauen, die dort arbeiteten und die Tatsache, dass ich mir einbildete, sogar ein winziges Bisschen Portugisisch verstehen zu können, weil ich mich an die Sprache und ihren Klang gewöhnt hatte. Die Nachbarin und ihr Dackel Frédè, die Hühner, die in den Dörfern fast vor das Auto laufen, und sogar das Auto fahren – wie sollte ich eigentlich sinnvoll wieder in das Stadtleben in Berlin einsteigen können, wenn ich mich gerade so auf dieses sehr angenehme Dorfleben eingelassen hatte? Ich wusste es nicht, und weil ich es nicht wusste, weinte ich im Zug nach Lissabon ein wenig.
Um ehrlich zu sein, verstehe ich es auch jetzt, einen guten Monat nach Ende meines Urlaubes, nicht so wirklich. Natürlich bin ich wieder hier, gehe dem nach, was ich wohl mein Leben nenne, aber ich hinterfrage wieder mehr von dem, was ich hier tue, weil mir vieles davon diese angenehme Leichtigkeit nimmt, die nicht allein dem Umstand „Urlaub“ zuzuschreiben war. Ein Stück Alentejo hat mich bis heute nicht losgelassen. Immer, wenn ich daran denke, wird mir einerseits ein wenig warm ums Herz, und andererseits vermisse ich es, und diese Melancholie lässt sich wohl kaum treffender benennen. Saudade, saudade…

- Und: „Wenn man die Augen schließt, klingt Regen wie Applaus.“ ↩︎
- Eine zusammengerollte Mülltüte, die mit Klebeband „in Form“ gehalten wird, ist kein Rohr und auch kein guter Ersatz dessen. ↩︎
- Das HT in HT-Rohr steht für Hochtemperatur. Ich weiß das jetzt – die Menschen, die das Abrissbad einst erbaut hatten, wussten das vielleicht auch. Vielleicht aber auch nicht; wir fanden im Gemäuer nämlich auch ein solches Rohr, das unter Hitzeeinwirkungen verformt und auf ein anderes Rohr gesteckt worden war. Dass das nicht dicht hält, muss ich vermutlich auch keiner Person mehr erklären. ↩︎
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